Taste the waste und die Frage der kritischen Masse

„Die geplante Obsoleszenz ist schon problematisch genug, noch mehr anzuprangern ist aber das gezielte Wegwerfen noch voll funktionsfähiger Produkte, sei es aus einer individuellen Konsumlaune heraus, sei es über staatliche Programme, wie die Abwrackprämie für ältere Fahrzeuge ohne Katalysator, oder sei es aufgrund von Überproduktion wie insbesondere in der Lebensmittelindustrie.“ Das schreibt Wolfgang M. Heckl in seinem Buch „Die Kultur der Reparatur“, mit dem ich mich in zahlreichen Blogbeiträgen auseinandergesetzt habe. Im letzten Kapitel geht es um Auswege aus der Wachstumsspirale. Hierzu passt auch die Fragestellung, wozu Müll noch gut sein kann. Einige Beiträge dazu schrieb ich schon: die Papiertüten des Fairtrade-Ladens Claro in: Kaffeeblüten-Honig aus Guatemala, eine andere Art des Umgangs mit Müll in: Kunst aus Abfall oder die Verwendung von Müll für Alltagsgegenstände in: Wirfsnichtweg!

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90 Millionen Tonnen Nahrung verschwendet
In Deutschland landen pro Jahr rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel auf Müllkippen, in Europa sind es an die 90 Millionen Tonnen. Eine unvorstellbar hohe Zahl! Gemäss einer Studie der Universität Stuttgart im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz aus dem Jahr 2012 bringt es der durchschnittliche Bürger jährlich auf rund 100 kg, schreibt Heckl.

Widerstand regt sich. Die Bewegung der Dumpster und Dumpdiver – zu Deutsch: Mülltauchen oder Containern – sind ein Ausdruck dieses Protests. Sie holen Lebensmittel, die weggeworfen werden, aber noch gut sind. Fundort: Container von Supermärkten, Discountern, Markthallen oder Restaurants. Das Ziel dahinter ist nicht nur, sich aus einer Not heraus zu ernähren, oder damit auf Überproduktion und die Essensvernichtung aufmerksam zu machen, sondern vor allem um das Teilen, das Foodsharing. Gesammelt werden Lebensmittel, die originalverpackt weggeworfen werden, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, Früchte, die kleine Stellen haben, Produkte, die eingedellte Verpackungen haben und deshalb vom Konsumenten nicht gekauft werden, beispielsweise Dosen mit Dellen. Mülltaucher und Foodsharer sind sehr kreativ, sie stellen die Lebensmittel auf unterschiedlichste Art und Weise zur Verfügung – in ihrem eigenen Kreis, in Stadtteilen oder Städten. Andere kochen daraus leckere Mittagsgerichte, füllen sie in recycelbare Glasbehälter ab und verkaufen sie in der Stadt. Ein Lieferservice – selbstverständlich mit dem Fahrrad – wird dazugeboten. Ein lesenswerter Beitrag findet sich hier: Resteveredelung-Artikel in der Zeitschrift „Horizonte“ Ein Ansatz, den ich auch sehr gut finde sind Lebensmittelgeschäfte, bei denen gar nicht erst so viel Verpackungsmüll und Reste entstehen, weil die Kunden sich die Mengen bedarfsgerecht „zapfen“ können, wie Lunzers Massgriesslerei, vorgestellt vom Blog Widerstandistzweckmässig.

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Lunzers Massgreisslerei. Foto von http://www.widerstandistzweckmässig.wordpress.com

Heckl schreibt dazu: „Nichts verkommen lassen ist also nicht mehr nur Ausspruch der Nachkriegsgeneration, nicht mehr Verzichtsappell aufgrund einer Mangelwirtschaft, sondern ein Appell, in Zeiten einer Überflussgesellschaft moralisch zu handeln, überschüssige Ware Bedürftigen zukommen zu lassen, statt sie wegzuschmeißen.“ In die gleiche Richtung geht der Trend der Gemeindehilfsnetzwerke (z.B. Gemeinwohlökonomie), der Gratisökonomie mit ihren Umsonstläden oder der Tauschbörsen.

Einer für alle, alle für einen
Ich beobachte, dass Hilfsgemeinschaften und Nachbarschaftsnetzwerke im Rahmen der Shared Economy, genossenschaftlich organisierte non-profit Unternehmen und Fair Trade Organisationen, die allesamt nach dem Prinzip „einer für alle, alle für einen“ folgen, immer mehr in Mode kommen! Noch findet die Abkehr von volkswirtschaftlichen Wachstumsmodellen erst im Kleinen statt. Steigt der Leidensdruck aufgrund des Bevölkerungswachstums und der immer knapper und damit teurer werdenden Ressourcen, werden solche Modelle immer mehr Zulauf bekommen. Es ist nur eine Frage der kritischen Masse!

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Zum Buch „Die Kultur der Reparatur“ von Wolfgang M. Heckl schrieb ich bisher folgende Beiträge:
Die Kultur der Reparatur – Einführung
Arbeitsteilige Fertigung vs. Ganzheitlichkeit
Geplante Obsoleszenz – eingebaute Schwachstellen in Geräten
Die großen Hebel für kleine ökologische Fußabdrücke
Irreparables Design – muss das sein?
The world in our hands
9 Schritte zum erfolgreichen Reparieren
Der Lohn der Reparatur
Aus der Wachstumsspirale ausbrechen