The world in our hands

Meine Serie des Buches „Die Kultur der Reparatur“ von Wolfgang M. Heckl geht weiter! Diesmal: „The world in your hands: Packen wir’s an!“. Es ist das vierte Kapitel dieses bemerkenswerten Buchs, über das ich bereits mehrere Beiträge schrieb.

World in your handsDie Protagonisten der neuen Bewegung der Reparatur sind nicht nur ältere Reparaturfreaks. Das zeigt sich am Retro-Trend, beispielsweise bei der Rückbesinnung auf die Klangqualität von Vinylplatten. Es zeigt sich aber auch an den Youtube-Tutorials, das sind Videos, die aufzeigen, wie man jedes erdenkliche Gerät, Kleidungsstück oder sonstiges Ding reparieren kann. Auch das Entstehen von Repair Cafés oder die Bewegung der „Shared Economy“, bei der das Prinzip des Teilens im Vordergrund steht, sind die sichtbaren Vorboten dieser Bewegung. Nicht mehr Eigentümer zu sein, sondern Besitzer für eine gewisse Zeit, wird attraktiver. Beispiel Car Sharing, Couchsurfing, Tauschbörsen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAIm Unterkapitel „Achtsamkeit und andere Soft Skills der Reparatur“ hat mir vor allem der einleitende Satz gefallen: „Die Kultur der Reparatur basiert auf Kenntnissen, auf Können, auf analytischem Denken, aber auch auf Lebensklugheit, auf Wertschätzung und, vor allem, Achtsamkeit.“ Achtsam ist, wer Geräte wartet und pflegt, beispielsweise Waschmaschinen. Mit einer sorgfältigen Entkalkung bleiben sie länger einsatzfähig und brauchen ganz nebenbei auch weniger Strom. Wenn die Heizstäbe verkalkt sind, benötigen sie mehr Energie, um auf die Temperatur zu kommen, die für den Waschgang eingestellt wurde. Bei Flugzeugen erfolgt die Wartung zur Prävention von Schaden, schließlich geht es bei fehlender Achtsamkeit um Leben und Tod. Heckl schreibt dazu: „Sorgfältige Untersuchungs- und Reparaturpläne in regelmäßigen Wartungszyklen sind also ein kluges Prinzip, um Schlimmstes zu verhindern, um das Risiko eines Schadens so weit wie irgend möglich zu reduzieren.“

Achtsamkeit2kl.Wer etwas von A bis Z ausführen kann, ist den Dingen weniger entfremdet, was unsere Autonomie und das Selbstvertrauen stärkt. Die Mechanik wird jedoch immer stärker von Sensorik verdrängt, die die Dinge für uns erledigt: vor allem die berührungslosen Dinge wie Wasserhähne mit Sensoren, Seifenspender, Handtrockner, Türen, Ampeln. Klar, das mag hygienischer sein, aber auch ich finde es viel schöner, wenn ich bei einer Handtuchrollen-Maschine so viel Handtuch herausziehen kann, wie ich selber meine zu brauchen. Ein Sensor gibt kein Feedback wie es ein Knopf tut. Aktion und Reaktion sind nicht spürbar. Auch ich gehöre noch zu den Menschen, denen das „Klick“-Geräusch gefällt. Ich mag mich nicht zu sehr von Sensoren bevormunden lassen.

AmpelmännchenWarum hat der iPad so einen riesigen Erfolg? Weil man wischen und rütteln, drehen und tasten, zoomen und tippen, greifen und scrollen kann. Genau genommen ist bei den iPads die Mechanik nur vorgetäuscht, denn „die mechanische Bewegung der Finger wird ja über elektrosensorische Elemente aufgenommen und löst nicht mehr die […] mechanischen Antworten aus. Aber die Wirkung erscheint natürlich.“ Und weiter: „Die Entwicklung unserer Hände zu komplexen Tast- und Greifwerkzeugen war eine wesentliche Voraussetzung für die Menschwerdung.“

Neben der Entfremdung von Dingen und der Bevormundung durch Sensorik gibt es laut Heckl noch einen dritten Aspekt, der beim Verzicht auf die Mechanik eintritt: den Verlust der unmittelbaren Erfahrung. Denn das Erschaffen von etwas setzt einen in direkte Beziehung dazu. Das gilt seiner Meinung nach nicht nur für das Reparieren, sondern auch für das Gärtnern, die Bearbeitung von Holz, von Textilien usw. Man könnte sich fragen, warum es so wichtig ist, etwas von A bis Z zu verstehen. Die Antwort: Um das umfassende Verständnis für Stoffkreisläufe zurückzugewinnen.

StoffkreislaufUnser Wohlstand wäre ohne technischen Fortschritt viel geringer. Wir würden heute noch schwerste körperliche Arbeit verrichten. Wir könnten uns ohne die Errungenschaften der digitalen Welt niemals weltumspannend vernetzen. „Dennoch ist das Handwerk durch nichts zu ersetzen: weil es an der Basis steht und sich elementarer Lebensbedürfnisse annimmt. Darüber hinaus bildet es eine unabdingbare Voraussetzung zur Weiterentwicklung und Anwendung von Naturerkenntnis. Dazu gehören nicht nur die physikalischen Grundprinzipien von Arbeit, Leistung, Energieumwandlung und -erhaltung, die ja bei jeder Maschine eine entscheidende Rolle spielen. […] Zum Handwerk gehört selbstverständlich auch die Auseinandersetzung mit Materialien, ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften.“ Ein wahrhaft überzeugendes Plädoyer für das Handwerk, denke ich, während ich diese Sätze lese.

Ein abschließender kluger Gedanke dazu, wie sehr uns die Reparatur ganzheitlich fordert: Das Beispiel des Motorrads. Wenn es nicht anspringt, hören die Ohren, was nicht rund klingt oder die Nase riecht, wenn etwas am Auspuff nicht stimmt, die Augen analysieren, wo der Fehler liegen könnte, der Tastsinn wird für die Reparatur eingesetzt.

5 Sinne mit RahmenIn meinem nächsten Beitrag wird es praktischer: die neun Aktionspunkte von Heckl auf der „Road to Repairing – Step by Step“.

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Zum Buch „Die Kultur der Reparatur“ von Wolfgang M. Heckl schrieb ich bisher folgende Beiträge:
Die Kultur der Reparatur – Einführung
Arbeitsteilige Fertigung vs. Ganzheitlichkeit
Geplante Obsoleszenz – eingebaute Schwachstellen in Geräten
Die großen Hebel für kleine ökologische Fußabdrücke
Irreparables Design – muss das sein?